(von Sophia Reyers)

Ich sitze im Fenster.

Ein Freund schaut mich an, worauf warten? – fragt er. Gute Frage, ich schaue zurück. Die Reise beginnt.

Ich sitze im Fenster. Von der gegenüberliegenden Hauswand starrt ein Gesicht herüber.

Ich sitze im Fenster. Jemand kommt. Willst du irgendwas? – werde ich gefragt, eine Decke? Lammfell? Socken? Ja! Ja, alles bitte.
Ich sitze in einem Nest aus Wärme und liebevoller Fürsorge im Fenster. Das Gesicht – das Gesicht eines alten Mannes – starrt nicht mehr herüber. Er sieht jetzt nach oben, mit wildem weißen Haar.

Ich sitze im Fenster. Menschen kommen. Ich teile Tee mit ihnen, sie teilen ihre Geschichten. Ihre Ängste. Ihre Leidenschaften. Ihre Liebe. Ihre Wünsche. Menschen gehen. Neue Menschen kommen. Und auch diese gehen wieder.

Ich sitze im Fenster. Das Gesicht hat an Tiefe gewonnen, an Alter, an Aussage, an Stärke.

Ich sitze im Fenster. Menschen kommen. Ich teile einen Moment des Durchatmens, der Ruhe, des Fühlens mit ihnen. Sie teilen ihre Zigaretten mit mir. Menschen gehen. Neue Menschen kommen, ich teile und sie teilen. Der Wind bläst um uns. Mir ist warm in meinem Nest.

Ich begebe mich auf eine Reise durch die Wohnung. Bekomme Tee gekocht, begegne. Spüre den Sog des Fensters.
Ich sitze im Fenster. Die Höhe tut gut. Die Weite tut gut. Links, die Grenzenlosigkeit. Rechts, das Zimmer. Die Menschen mittendrin.

Ich dazwischen.

Ich sitze im Fenster. Menschen kommen. Jeder bringt ein anderes Geschenk. Mancher bringt Lachen. Mancher bringt Schweigen. Mancher bringt Wissen. Mancher bringt eine Umarmung. Mancher bringt eine Idee. Wir teilen. Menschen gehen. Neue Menschen kommen.

Ich sitze im Fenster. Wie geht es dir? – frage ich. Heute gut! Jetzt ist es gut! – Warum nur heute, warum nur jetzt? Keine Antwort.

Ich sitze im Fenster. Das Gesicht ruht in würdevoller, altersloser Kraft an der gegenüberliegenden Hauswand. Dankbarkeit und Liebe erfüllen mich.

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